Konservative Christen von neurechten instrumentalisiert?
Unter konservativen Christen tut sich einiges. Es kommt nicht mehr so sehr darauf an, ob man evangelikal, katholisch, evangelisch, pfingstlerisch oder freikirchlich ist, neue Netzwerke entstehen, die zusammenführen, was vor einiger Zeit nicht zusammen ging.
Klar abgegrenzt wird sich dabei von progressiven, von queerfeministischen Anklängen und allem, was liberal verstanden wird. Es ist nicht so, dass diese Netzwerke gar keine Abgrenzung kennen, über einige Dinge herrscht Konsens. Gatekeeping funktioniert.
Aber wie sieht es mit demokratiezersetzenden und rechtsextremen Inhalten aus? Inwiefern schaffen es Netzwerke wie Jesus25, Netzwerk Bibel und Bekenntnis und andere, sich vom „Rechten Christentum“ abzuheben und sich zu distanzieren? Dazu lohnt sich ein Blick auf den Gemeindehilfsbund, der in beiden genannten Netzwerken eine Rolle spielt.
In der morgigen Podcastepisode „Rechtes Christentum in Deutschland“ habe ich darüber mit Daniel Rudolphi gesprochen. Er ist Beauftragter für Weltanschauungsfragen bei der Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers und beschäftigt sich intensiv mit diesen Fragen.
Um es vorwegzunehmen: Hier gilt es Hinzusehen. Inhalte von neurechten Strömungen werden ins Christliche übersetzt und anschlussfähig gemacht. Andersherum dient Gedankengut der christlichen Rechten als ideologisches Futter für neurechte Strömungen. Konservativ-christliche Medien haben dieses Thema kaum auf dem Schirm, eine kritische Auseinandersetzung muss man lange suchen. Die Weltanschauungszentrale beobachtet diese Entwicklungen jedoch sehr kritisch.
Einige Gedanken vorab.
Das Thema ist komplex und vielschichtig. Hier möchte ich nur einen Aspekt näher beleuchten. In der Episode werden weitere thematisiert, darunter fällt eine christliche Version des „Ethnopluralismus“, der Kernideologie neurechter Bewegungen, die oft mit dem Begriff der „Remigration“ verbunden wird, Verschwörungserzählungen und Queerfeindlichkeit.
Im rechtsextremen Diskurs wird eine „erinnerungspolitische Wende“ gefordert. Die Verbrechen der Nazis sollen weniger Beachtung finden. In Deutschland habe sich ein „Schuldkult“ entwickelt, der ein deutsches Selbstbewusstsein brechen würde. Kommen nun Ausländer ins Land, dann drohe eine kulturelle „Überfremdung“. Die Lösung der Rechtsextremisten ist die konsequente Unterbindung der Migration und die Rückführung von Millionen von Menschen mit Migrationshintergrund. Nach Höcke sollten das locker 30% der Bevölkerung sein, die AfD-Bayern spricht von millionenfacher Rückführung. Am Ende wünscht man sich ein homogenes Deutschland mit deutschstämmigen Bürgern. Darüber hinaus will man sich mit dem gebrochenen Nationalstolz befassen. Statt Erinnerung an den Holocaust brauche es einen neuen Patriotismus, der bei der WM 2006 bereits zu spüren war. Der Nationalsozialismus wird zu einem „Vogelschiss“ der deutschen Geschichte runtergespielt. Der Fachbegriff dafür ist Geschichtsrevisionismus und dieser ist wie auch der Ethnopluralismus ein Merkmal von Rechtextremismus.
Die christliche Variante des Geschichtsrevisionismus findet man beispielsweise unter dem Stichwort „Zivilreligion“. Ein Vertreter ist Stefan Felber, der in unterschiedlichen Zusammenhängen anzutreffen ist (Gemeindehilfsbund, Evangelium21, Jesus25, Netzwerk Bibel und Bekenntnis, …). Sein Gedankengang, den er beispielsweise in einem seiner Bücher vertritt, geht wie folgt:
Die Kirche sei nach Kriegsende insbesondere seitens der Alliierten zu einem Schuldbekenntnis („Stuttgarter Erklärung“) genötigt worden. Auf diese Weise habe sich ein Verständnis einer Kollektivschuld, einer Erbschuld und einer Alleinschuld in der Bundesrepublik verankert. Nicht einzelne Täter, die man laut Felber durchaus benennen müsse, sondern das Volk als Kollektiv wären (zu Unrecht!) für Weltkrieg und Holocaust verantwortlich gemacht worden. Folge sei ein Schuldkomplex, ein „bundesrepublikanischer Schuldkult“ der seither das Land präge. Dieser Prozess sei in der EKD-Ostdenkschrift von 1965 weitergeführt worden:
Diese verfolgte die Absicht, die Deutschen bereit zu machen, die Folgen der Kriegsschuld zu tragen, auf Wiedergutmachung und Rückgabeansprüche für die verlorenen Gebiete in Polen und in der Tschechoslowakei zu verzichten. Da der zivilreligiöse Glaube an die Allein-, Kollektiv- und Erbschuld der Deutschen schon weitgehend durchgesetzt war, konnte man Unrecht wie Flächenbombardements, Massenvertreibungen, Massenvergewaltigungen, Massentötungen, Verbrechen an Kriegsgefangenen, das vor und nach 1945 über Deutschland hineingebrochen war, kaum noch als Unrecht benennen (Felber, 2021, S. 165f.).
Prägend für den deutschen Staat ist demnach nicht der christliche Glaube, vielmehr werde den Deutschen ausgehend vom Stuttgarter Schuldbekenntnis eine Art säkulare Religion aufgedrückt. Für diese Zivilreligion gelten auch Glaubensgrundsätze, jedoch sind es nicht die des apostolischen Glaubensbekenntnisses. Es sind die Dogmen von Kollektiv-, Allein- und Erbschuld. Der Nationalsozialismus als neuer Sündenfall, die Erinnerungskultur als neue Dogmatik. Der Staat würde den Schuldkomplex mittels beispielsweise der Schulen aufrechterhalten, um seine Bürger auf diese Weise besser kontrollieren zu können. Der Staat als übergriffiger Tyrann. Im Sinne einer Art Diktatur würden alle, die eine andere Meinung verträten, als Ketzer gebrandmarkt und verfolgt.
Auch weitere prominente Personen können nach Daniel Rudolphis Recherchen und Analysen in diesem Spektrum verortet werden. Die stärkste Parallele, die in Richtung Geschichtsrevisionismus geht, wäre hier die AG Welt, die eng mit Peter Hahne kooperiert und die auch zum vom Gemeindehilfsbund initiierten Gemeindenetzwerk gehört. Allerdings nutzen man hier nicht den Begriff der Zivilreligion. Im Podcast wird dies ausführlicher erläutert, außerdem hat Daniel Rudolphi hierzu Ausarbeitungen veröffentlicht.
Wie verhalten sich nun die betreffenden Netzwerke?
Ich habe einmal nachgefragt und mir bekannte Mitglieder dieser Netzwerke angeschrieben. Ich habe den Eindruck, dass Verantwortliche wie Johannes Traichel und Markus Till diese Informationen sehr ernst nehmen und es entsprechend in den betreffenden Netzwerk zu Diskussionen kommen wird. Wer Markus Till folgt, der wird wissen, dass er sich beispielsweise gegen Verschwörungstheorien und Antisemitismus stark macht.
Über das Thema Erinnerungskultur diskutierten vor einiger Zeit Markus Till und ich unter einem seiner Beiträge auf Facebook. Damals beklagte Till, dass wir Deutschen immer noch ein gebrochenes Verhältnis zur eigenen Identität hätten: „Es macht mich tieftraurig, dass wir Deutschen offenbar immer noch ein zutiefst gebrochenes Verhältnis zu unserer eigenen Identität haben.“ Damals wollte ich wissen, ob es eine gewisse Nähe zu der AfD Forderung einer erinnerungspolitischen Wende bei Till gibt. Im Laufe der Diskussion machte Till jedoch deutlich, dass er sich von rechten Narrativen distanziert und für eine verantwortungsvolle Erinnerungskultur steht. Er schlug folgendes vor:
„Wir vertrauen einander, dass wir uns einig sind im Erschrecken über den wachsenden Antisemitismus in Deutschland in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Schichten. Und wir gehen mal offen in die Debatte, wie wir ihn am besten bekämpfen.“
Ich finde diese Ansage großartig und nehme Markus Till hier aber auch beim Wort. Konservative haben wie alle anderen eine Pflicht, demokratiezersetzende, von Verschwörungserzählungen geprägte und letzlich antisemitische Narrative ernst zu nehmen und dagegen vorzugehen. Ich bin sehr gespannt, wie die betreffenden Netzwerke (und christliche Medien) diese Thematik angehen werden.
Literatur:
Felber, Stefan (2021): Kein König außer dem Kaiser? Warum Kirche und Staat durch
Zivilreligion ihr Wesen verfehlen, 2. Aufl., Neuendettelsau: Freimund.
Rudolphi, Daniel (2023): Der Staat als „Tyrann“ – Kirche und Staat im rechten
Christentum. Eine Netzwerkanalyse. https://relbib.de/Record/1861523521