Ich habe gestern mal wieder in die Sendung von Herrn Lanz reingeschaut. Es ging um Migration, Frauke Petry war zu Gast. Es fing ja schon hervorragend an. Als der Moderator Markus Lanz in der Anmoderation kommentierte, dass ja ihr Paktieren mit den extremeren Kräften in der Partei erst zur Niederlage von Bernd Luke führen konnte, verzieht sie ihr Gesicht. Das will sie nicht hören, denn ihre Rolle im Erstarken der AfD und des rechtsextremen Flügels will sie nicht zugeben. Damals wäre die AfD ganz anders gewesen, die Radikalisierung wäre nach ihr passiert. Also bitte: ihr kann man nun wirklich keine Mitverantwortung geben.
Petrys Rolle in der AfD – Verdrängung statt Verantwortung
Sie beschwert sich, dass sie acht Jahre nach ihrem Austritt aus der AfD immer noch den „Erklärbären“ spielen solle. Ich kann da nur sagen, dass ich den Analysen von Frauke Petry wenig abgewinnen kann und im Fernsehen gerne darauf verzichten würde. Schließlich erhärtet sich mein Verdacht, dass ihre inhaltlichen Positionen in der AfD gut aufgehoben waren – und sind – und sie letztlich heute nicht als geläuterte Demokratin im TV sitzt. Sie hat damals einen Machtkampf verloren, in dem es um Strategie ging. Sie wollte eine bürgerliche Annäherung, einen vorsichtigeren Ton. Der Höcke Flügel wollte Klarheit, wollte nicht hinter dem Berg halten. Sie hat verloren. Und heute? Hat sie ihre Inhalte verändert? Übernimmt sie Verantwortung? Ich sehe das nicht.
Verzerrung: Petrys Deutung ihres eigenen Rückzugs
Eine Verantwortungsübernahme passt nicht ins Narrativ, das sie seit Jahren strickt: Sie habe sich mit Kräften gegen die Radikalisierung der AfD gestellt, aber sie konnte dem keinen Einhalt gebieten. Petry muss sich in ihrer Wahrnehmung politisch, inhaltlich und bezogen auf ihre Rolle im Rechtsruck der Gesellschaft nichts vorwerfen, auch in der aktuellen Sendung bei Lanz nicht. Dass in ihre Zeit als Parteivorsitzende das Strategiepapier fällt, dass eine Diskursverschiebung nach rechts vorsieht, von dem die AfD heute sagt, man habe dieses Ziel erreicht, das problematisiert sie nicht. Dass in ihrer Zeit massiv Mitglieder der damaligen NPD in die AfD eingeschleust wurden (Schreiber, 2018) und dies nicht unterbunden wurde, damit muss sie sich nicht befassen. Nein, vielmehr betont sie ihren vermeintlich selbstbestimmten Austritt, der für viele überraschend gekommen sei. Dass der Parteitag 2017 in Köln erschreckend gezeigt hat, dass sie als Parteivorsitzende erledigt war, dass verschweigt sie. Ihr eingebrachter „Zukunftsantrag“ wurde damals nicht einmal zur Beratung zugelassen. Eine öffentliche Demontage, ihr Rückzug eine logische Konsequenz und eben kein Austritt mit erhobenem Haupt. Das war damals auch in allen Pressebeiträgen nachvollziehbar. FAZ deutete ihren Rückzug nach Köln als „taktisches Manöver“, die Welt meinte „Petry ist faktisch weg“, die Taz sprach von „totaler Demontage“, der Deutschlandfunk von „Niederlage“ und correctiv gar von einer „Schmach“. Und 8 Jahre später bei Lanz? Da möchte Petry den verlorenen Machtkampf als verantwortungsvollen und klugen Schachzug darstellen, der alle überrascht habe. Natürlich bleibt das unwidersprochen. Aber selbst, wenn man die Verantwortung von Frauke Petry herunterspielen möchte: Inwiefern eine Politikerin, die die Radikalisierung der AfD vermeintlich ohnmächtig hinnehmen musste heute als Expertin in einer der wichtigsten meinungsbildenden Sendung eingeladen werden muss, das erschließt sich mir nicht.
Die Verharmlosung des Rechtsextremismus
Ihr Beitrag in der Sendung fällt aus meiner Sicht in keiner Weise konstruktiv aus. Im Gegenteil. Petry wirbt zu Anfang der Sendung für einen anderen, freundlicheren Umgang mit den AfD-Politikern im Bundestag. Der menschliche Umgang mit der AfD sei falsch. Dass man der AfD die Vizepräsidentschaft des Bundestages verwehrt habe, nicht in Ordnung. Petry wirbt dafür, dass man die AfD als normale Partei akzeptiert. Die politische Ausgrenzung nennt sie dämlich. Dass diese Partei in weiten Teilen als rechtsextrem eingestuft wird, dass ist egal. Warum? Weil rechtsextreme Positionen in Deutschland nicht mehr extrem sind. Mein Eindruck ist, dass man es heute ein Narrativ festsetzt, wonach Rechtsextremismus auf Gewalt reduziert wird. Wenn also nicht direkt dazu aufgerufen wird, politisch Andersdenkende zu verprügeln oder umzubringen, dann gelten Positionen nicht als extrem. Wer etwas anderes sagt, der übertreibt. Dass Extremismus aber da anfängt, wo demokratische Institutionen und deren Vertreter delegitimiert werden, wo per Verschwörungserzählungen und mit Hilfe von Begriffen wie „Lügenpresse“ (Petry sprach gerne von der Pinocchio-Presse), „Kartellparteien“ oder dergleichen massiv Misstrauen erzeugt wird und dass durch sprachliche Entgrenzung (wie im AfD-Strategiepapier von 2016) ein demokratiezersetzendes Klima befördert und Geflüchtete, Queere und migrantische Menschen dehumanisiert werden – das wird so in den Bereich des politisch akzeptierten gerückt. So kann man sich mit extremen Positionen als politische Mitte wähnen und auch bei Lanz auf dem Sessel sitzen. Fast ohne Widerspruch. Im letzten Drittel der Sendung darf Petry die Politik von Herrn Höcker einordnen und attestiert ihm eine Nähe zum Nationalsozialismus. Ist dies eine deutliche Ansage? Im nächsten Satz relativiert sie, der Bürger könne heute nicht mehr hören, dass man Röcke einen Nazi nenne. Dass in den Wochen vor der Bundestagswahl Millionen auf der Straße gegen den Rechtsextremismus demonstrierten, dass eine große Mehrheit der Bevölkerung die AfD entschieden ablehnt, das spielt keine Rolle. Warum ist das so? Weil rechte Kräfte seit Jahren daran arbeiten, extreme Positionen zu normalisieren. Frauke Petry war vorne mit dabei. Aber alles uninteressant, niemand will das hören. Klar, denn kritische Nachfragen würden ihre Rolle in der Entwicklung zur Sprache bringen. Offenbar hat Frauke Petry weiterhin politische Ambitionen. Da ist etwas in der Pipeline, manche Sprechen von einer Art neuen Bürgerbewegung, andere von einer Art Nachfolgepartei der FDP. Wir werden sehen, was da kommt.
Petrys Angriffe auf die SPD – Populismus statt Argumente
In der Sendung stellte nun der Oberbürgermeister von Bremen, Andreas Bovenschulte (SPD), vor, dass es der SPD nicht gelungen sei, mit den grundlegenden Brot-und-Butter-Themen, die immer das zentrale Rückgrat der SPD ausgemacht haben, beim Wähler durchzudringen. Das kann man sicher kritisieren. Wie reagiert Petry? Sie unterstellt Bovenschulte, er würde mit netten Worten sagen, der Bürger sei zu blöd es zu verstehen. Die SPD hätte eine absolute Planlosigkeit. Die Parteien würden die Probleme nicht lösen, schließlich habe der Staat die Probleme in den letzten Jahren selber geschaffen. Auf diese Weise diskreditiert Petry den SPD-Politker sehr grundsätzlich – ohne dabei auf einen einzigen inhaltlichen Punkt eingehen zu müssen. Was hängen bleibt: Ein SPD-Politker verkauft die Wähler für blöd. Diese Rhetorik zersetzt den demokratischen Diskurs. Petry ganz die Alte.
Es ging inhaltlich in weiten Strecken um Maßnahmen gegen die Migration. Dass Bovenschulte verschiedene Maßnahmen aufzählte, die seitens der Regierung zu einem Rückgang der Zahlen führte, kommentiert Petry unwidersprochen mit den Worten, dies sei ein Witz und der normale Bürger würde ihm kein Wort mehr glauben. Auf diese Weise macht Petry Politik verächtlich und unglaubwürdig. Sie nennt kein inhaltliches Argument und geht auch nicht inhaltlich auf Bovenschulte ein. Sie zieht ihn ins Lächerliche und behauptet seine absolute Unglaubwürdigkeit. Die Aussage, dass der normale Bürger Bovenschulte „kein Wort glauben“ würde, ist sachlich falsch. Bovenschulte ist gewählter Politiker, offensichtlich genießt er das Vertrauen der Mehrheit. Die Rhetorische Figur von Petry bringt also etwas demokratiezersetzendes in die Diskussion, was unkommentiert bleibt.
Migrationspolitik: Extreme Positionen ohne Widerspruch
Auch muss sie keinen konstruktiven umsetzbaren Lösungsansatz bieten. Sie glaubt, dass man Menschen daran hindern müsse, die EU-Grenzen zu übertreten und könne gar nicht verstehen, dass das so schwierig sei. Der Vorschlag wäre vor 10 Jahren menschenverachtend gewesen (was er heute auch noch ist!) und heute diskutiere man diese Vorschläge wenigstens. Wunderbar. Was würde es bedeuten, die EU-Außengrenze für Geflüchtete konsequent zu schließen? Was bedeutet es für Menschen, die sich in Schlauchbooten auf den Weg machen und an den griechischen Inseln ankommen? Was genau ist der Vorschlag, dessen Schwierigkeit sich Frauke Petry nicht erschließt? Sollen die Boote oder die Geflüchteten abgeschossen werden (früherer Vorschlag von Petry)? Per Pushback zurück Richtung Türkei oder Marokko? Sollen NGOS kriminalisiert werden? Der Witz ist: alles das gibt es schon. Also mehr davon? Müssen Geflüchtete einfach noch konsequenter entmenschlicht werden? Deren Tod nicht nur in kauf genommen, sondern forciert werden? Mehr Abschreckung? Mehr Gewalt? So dass das Risiko des Ertrinkens geringer ist, als die „Härte in der Migrationspolitik“ durch Europa? Alles andere wäre ja „ein Witz“.
Frau Petry ist nicht weniger extrem geworden. Sie hat es nur geschafft, ihre bürgerliche Fassade aufzupolieren. Mit Menschlichkeit hat ihre Politik nichts zu tun. Dass ihre Positionen keinen Aufschreih erzeugen zeigt, dass wir als Gesellschaft einen weiten Weg gegangen sind. Sandra Bils sprach in ihrer Predigt auf dem Kirchentag in Dortmund noch den Satz „Man lässt Menschen nicht ertrinken. Punkt.“ Daraufhin entstand der Verein United for Rescue, der Menschen vor dem Ertrinken im Mittelmeer rettet. Davon haben wir uns weit entfernt. Ich mache mal einen Vorschlag: Herr Lanz, wann laden Sie eigentlich Sandra Bils in ihre Sendung ein?