Wie progressiv können Evangelikale sein?
In der letzten Folge von schöner glauben war Paul Bruderer zu Gast. Schon seit einiger Zeit hatte ich vor, mit Paul zu sprechen. Der Grund dafür ist, dass Paul ein evangelikaler Pastor und Blogger ist, der sich kritisch mit progressiver Theologie auseinandersetzt. Nun bot sich eine Gelegenheit, als wir beide an einer Folge des Podcast „Furcht und Zittern“ mitgewirkt hatten. Wir diskutierten per Messenger über einige dort getroffene Aussagen und vereinbarten, dieses Gespräch im Podcast fortzusetzen.
Worum ging es dabei?
Für mich ist einer der zentralen Gründe, mich aus der evangelikalen Christenwelt abzusetzen, dass ich dort immer wieder eine in-der-Zeit-eingefrorene Ethik angetroffen habe. Verkürzt besagt diese: Es steht in der Bibel, also müssen wir das heute auch noch so verstehen und handhaben. Diese Sichtweise schafft aus meiner Sicht einen Haufen Probleme und ich bin nicht mehr bereit, diese Haltung zur Bibel einzunehmen.
Es gibt allerdings gute Alternativen, beispielsweise die „Redemptive Movement Hermeneutics“ von William J. Webb, von der ich viel halte. Nun stellte sich heraus, dass Paul ebenfalls Bücher von Webb gelesen hatte und diesen Ansatz hilfreich findet. Also haben wir über diesen Ansatz gesprochen. In meinen Worten würde ich den Ansatz von William J. Webb so beschreiben:
Die ethischen Aussagen der Bibel müssen mit ihrer damaligen Umgebungskultur abgeglichen werden. So wird deutlich, inwiefern sie im jeweiligen historischen Kontext fortschrittlich waren und transformierend wirkten.
Ethische Aussagen der Bibel müssen im Sinne einer „erlösenden Bewegung des Geistes des Textes“ verstanden werden. Einzelne ethische Aussagen sind in der Zeit eingefrorene Reflexionen, nicht aber die „ultimative Ethik“, die den Absichten Gottes entspricht.
Diese kann man erkennen, wenn man die Richtungsbahnen der sowohl innerbiblischen Entwicklung nachvollzieht, wie auch Entwicklung der Bibel genüber ihrer damiligen Umgebungskultur.
Die ultimative Ethik kann jenseits dessen liegen, was die biblischen Texte abzubilden vermochten und somit sogar dem biblischen Wortlaut widersprechen, nicht jedoch der in der Bibel angelegten „erlösenden Bewegung“. Es braucht deswegen eine „logische Ausweitung“ der biblischen Richtungsbahn der erlösenden Bewegung des Geistes.
Wo Einigkeit besteht
In der Podcastfolge haben wir über Bibelstellen nachgedacht, die von „körperlicher Bestrafung“ sprechen. Es gibt eine ganze Reihe von Texten, die dazu etwas sagen. Dabei geht es um die Bestrafung von Kindern und Sklaven. Ein Beispieltext wäre Exodus 21,20f:
„Wenn einer seinen Sklaven oder seine Sklavin mit dem Stock so schlägt, dass er unter seiner Hand stirbt, dann muss er unbedingt gerächt werden. Wenn er noch einen oder zwei Tage am Leben bleibt, dann soll den Täter keine Rache treffen; es geht ja um sein eigenes Geld.“
Jüdischen Sklavenhaltern war es also erlaubt, die eigenen Sklaven massiv zu misshandeln. Aus heutiger Sicht kann man nicht anders, als derartige Texte abstoßend zu finden. In der jüdischen Antike war körperliche Bestrafung jedoch verbreitet und gehörte zu den damaligen Kulturen völlig selbstverständlich dazu. Webb vergleicht in seinem Buch „Coporal Punishment“ die Gesetzestexte des antiken Ägypten, in denen teils hunderte Schläge für diverse Vergehen vorgesehen waren, mit den entsprechenden biblischen Texten. Der Vergleich macht deutlich, dass die Behandlung von Sklaven in Israel sehr viel humaner geregelt war. Webb deutet dies als das erlösende Wirken des Geistes: Gott wirkt in einen spezifischen Kontext hinein, um hier für bessere Verhältnisse zu sorgen. Analysiert man die innerbiblische Entwicklung in Bezug auf die körperliche Bestrafung, so stellt man fest, dass es keine Abschaffung dieser Praxis gibt. In 1. Petrus 2 gibt es das Gebot, dass Sklav:innen Schläge erdulden sollte. In Hebräer 12 wird sogar eine Verbindung zwischen körperlicher Bestrafung und göttlichem Erziehungshandeln gezogen:
„Mein Sohn, verachte nicht die Erziehung des Herrn und verzage nicht, wenn er dich zurechtweist! Denn wen der Herr liebt, den züchtigt er; er schlägt mit der Rute jeden Sohn, den er gern hat.“ Hebr.12,6ff
Wenig verwunderlich ist daher, dass christliche Erziehungsratgeber häufig körperliche Bestrafung befürworten. Webb zeigt, dass berühmte evangelikale Autoren für einer derartige Erziehung plädieren und damit die Einschränkung verbinden, dass es nicht mehr als zwei Schläge sein sollten. Tobias Faix hat den Gewaltaspekt in frommen Kreisen untersucht und dabei herausgefunden, dass auch in Deutschland Gewalt in der Kindererziehung weit verbreitet ist. Webb spricht sich nun dafür aus, dass eine Einschränkung von Gewalt nicht das finale Ziel biblischer Ethik ist. Zieht man diese Entwicklungslinie weiter, so muss man nach Webb auch über die Bibel hinaus gehen:
„Wir wollen nicht bei den statischen oder in-der-Zeit-eingefrorenen ethischen Anweisungen der Bibel stehen bleiben. Vielmehr müssen Christen den erlösenden Geist der Texte umarmen und in die Richtung einer ultimativen Ethik dieses Geistes weiterreisen.“
Webb hat einen ausführlichen Kriterienkatalog erarbeitet, der sicherstellen soll, dass dieses Hinausgehen über die Bibel nicht willkürlich erfolgen kann. Er kommt dann aber zu dem Schluss, dass Erziehung gänzlich ohne Gewalt auskommen sollte:
„Wir müssen über die hochgradig verbesserte „Zwei-Schläge-Maximum-Erziehung“ hinaus und mutig weiterreisen zu einer ausschließlich nichtkörperlichen alternativen Erziehungsweise.“
Diese Gedankengänge haben wir im Podcast besprochen und konnten hier beide Webb zustimmen. In Fragen der Kindererziehung ist unsere Kultur fortgeschritten und hat ein Bewusstsein entwickelt, das gewaltfreie Erziehung befürwortet. Diese Entwicklung ist in der Weise biblisch, als dass hier der „erlösende Geist“ der biblischen Texte aufgegriffen und konsequent sowie über die Bibel hinaus weiterverfolgt wurde. Webb zeigt an anderer Stelle, dass diese Bibelhermeneutik auch in Fragen nach Frauenrechten oder in Bezug auf die Gewalttexte der Bibel eine Rolle spielt. Da lohnt es sich, ein wenig weiter zu forschen.
Im Podcast hatte ich leider nicht mehr die Gelegenheit, an dieser Stelle weiterzugehen. Gerne hätte ich das Fass aufgemacht, was die Neubewertung von körperlichen Strafen für Auswirkungen auf das Gottesbild hat. Immerhin wird in Hebräer 12 davon geredet, dass Gott mit Menschen so umgeht, wie ein Vater, der mit der Rute schlägt. Wenn die ultimative Ethik, die über die Bibel hinaus geht, auf eine gewaltfreie Erziehung abzielt, müsste dann nicht auch neu über Gott nachgedacht werden? Es gibt verschiedene Autor:innen und Theolog:innen, die genau das versuchen. Für mich sticht hier Brad Jersak heraus, der sehr viel zu seinem gewaltfreien Gottesbild gearbeitet hat. Mein Argument würde wiefolgt aussehen: Ähnlich, wie es eine „erlösende Bewegung“ im Hinblick auf ethische Fragen gibt, muss auch davon ausgegangen werden, dass die Gottesbilder der Bibel einer Bewegung unterworfen sind. Konsequent denken das die Offenen und Relationalen Theologien (z.B. Tom J. Oord, Greg Boyd) und die Prozesstheologie zu Ende. Die Kernidee hier ist, dass Gottes Liebe nicht zwingt, sondern kooperiert. Anders ausgedrückt: Gott ist kein schlagender Vater, sondern einer, der sich alternativen Erziehungsmethoden für seine Schöpfung verschrieben hat. Greg Boyd geht in eine ähnliche Richtung und meint, dass die Gewalt, die durch Sünde entsteht, letztlich immer die SELBST-zerstörerische Gewalt ist. Für ihn übt nicht Gott Gewalt aus, sondern der Sünder tut letztlich sich selbst und seinem Umfeld weh.
Wie sieht das dann mit der Beurteilung von Homosexualität aus?
Webb hat mit seinem Ansatz begründet, warum das Ausleben einer homosexuellen Neigung unbiblisch sei. Er sieht hier eine gegenläufige Entwicklung: Während in der Umgebungskultur gleichgeschlechtlicher Sex toleriert wurde, so kommt es in den biblischen Texten zu Einschränkungen. Entsprechend sieht Webb hier eine Richtungsbahn, die zu einem Verbot gleichgeschlechtlicher Sexualität führt. Auch wenn ich den Ansatz von Webb grundsätzlich hilfreich finde, komme ich zu einem anderen Ergebnis. Das hängt auch damit zusammen, dass ich seiner historischen Analyse Darstellungen anderer Historiker:innen gegenüberstelle, die differenzierter und umfassender der Lebenswirklichkeit antiker Menschen Rechnung tragen.
An dieser Stelle haben wir diskutiert, welche ethischen Linien hier zum Tragen kommen und wie man diese Linien in der Bibel nachzeichnen kann. Dazu haben wir kurz skizziert, wie die Umgebungskulturen der biblischen Texte Sexualität verstanden hat und unter welchen Bedingungen diese stattgefunden hat. Hier möchte ich einige Punkte schärfen und ergänzen.
Würde man hier ins Detail gehen, dann könnte man bedeutsame Unterschiede und Veränderungen im Verständnis von Sexualität ausmachen, sowohl unter den damaligen Kulturen als auch im Verhältnis zu heute. Allgemein ist jedoch festzuhalten, dass Sexualität in der Antike unter den Vorzeichen des Patriarchats zu verstehen ist. Damit ist eine gesellschaftliche Ordnung gemeint, die Menschen in einer Rangordnung eingliedert. Diese Rangordnung bestimmte die Gesellschaft, das Familienleben und auch die Sexualität. Die Historikerin Elke Hartmann schreibt im „Neuen Pauly“ dazu:
„Der Terminus H[omosexualität] zur Bezeichnung der auf Partner des gleichen Geschlechts gerichteten körperlichen Liebe ist nicht antik. Er verfehlt insofern die typischen Züge ant[iken] Geschlechtslebens, als darin ein individuelles Charakteristikum festgelegt wird. Das sexuelle Verhalten eines Menschen wurde in der Ant[ike] aber weniger durch seine individuellen Neigungen als durch seine soziale Stellung als Freier und Unfreier, als junger oder alter Mensch, als Mann oder Frau determiniert. Der Ant[ike] war die Vorstellung weitgehend fremd, dass Sexualität sich auf ein einziges Geschlecht bezieht.“
Hier wird deutlich, dass gleichgeschlechtlicher Sex in der Antike nicht grundsätzlich erlaubt war. In der römischen wie in der griechischen Antike gab es über lange Zeit das Verbot von gleichgeschlechtlichem Sex unter freien Erwachsenen. Der gleichgeschlechtliche Sex mit Jünglingen war dagegen völlig normal (Päderastie). Der Grund war, dass freie Männer nicht wie Frauen oder Unfreie den sexuell passiven Part einnehmen durften, dies galt als „unnatürlich“. Der griechische Philosoph Plato wurde von Plutarch mit den Worten zitiert, dass gleichgeschlechtlicher Sex beschämend sei, da es „Schwäche und Weibischsein“ beinhalte und „widernatürlich“ sei, weil man sich dabei „wie Vieh besteigen lasse“. Man kann also nachzeichnen, dass in antiker Literatur, die Begriffe „natürlich“ und „unnatürlich“ kennzeichneten, welche Praktiken den geläufigen Rollenbildern der Geschlechter entsprachen. Unter diesem Hintergrund kann man die Worte von Paulus aus Römer 1,26 verstehen. Wenn er davon redet, dass Männer den „natürlichen Verkehr“ verlassen haben, dann dürfte sich das auf eine patriarchale Rollenvorstellung beziehen, in der es um sexuelle Dominanz und Passivität ging. Folgt man dem, dann spricht der Vers vorher nicht von lesbischem Sex, sondern von Frauen, die beim Sex eine aktive Rolle eingenommen hatten.
Lieber Paul – ich muss noch einmal auf das Thema Haare zu sprechen kommen. In Römer 1 scheint das Wort „Natur“ aus meiner Sicht eine kulturelle Kategorie zu sein. Das Wort kommt im NT nur an einer weiteren Stelle vor und zwar in 1.Kor 11, wo es um die Haare geht: „Lehrt euch nicht auch die Natur selbst, dass es für einen Mann eine Schande ist, lange Haare zu tragen, für die Frau aber das Gleiche eine Ehre?“. Selbst konservative Exegeten bringen dies mittlerweile in Zusammenhang mit kulturellen Gegebenheiten.
Der Abgleich mit der Umgebungskultur
Folgt man dem Gesagten, dann muss der Abgleich der biblischen Texte zu den Umgebungskulturen vorrangig in den Blick nehmen, wie sich die biblischen Texte zu den sozialen Stellungen, so wie sie in der Antike verstanden wurden, verhalten. Ich meine, man kann deutliche Anzeichen finden, dass es im NT Spuren einer „erlösenden Bewegung des Geistes“ gibt, die das Patriachat überwinden möchte.
Untersucht man dies, so wird man zunächst feststellen, dass die Bibel das kulturell vorzufindende soziale Gefüge oft unkritisch übernimmt. Paulus spricht in 1.Korinther 7,20 gar davon, dass „Jeder (…) in dem Stand bleiben [soll], in dem ihn der Ruf Gottes getroffen hat.“ Damit benennt Paulus das Patriarchat als göttliche Ordnung und legitimiert die Vorrangstellung von Männern über Frauen sowie das Halten von Sklaven. Jedoch kann man Impulse finden, die transformierend ansetzen, beispielsweise wenn Paulus in Galater 3,28 für das Gemeinde sagt: „Da ist nicht Jude noch Grieche, da ist nicht Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus“. Die christliche Gemeinde wird zu einer Gegenkultur zur römischen Antike, in der die patriarchale Gesellschaftsordnung in Teilen überwunden wird: Sklav:innen werden auf Augenhöhe mit den Freien behandelt, Frauen haben Leitungsaufgaben, Kinder werden wertgeschätzt, Reichtum gerecht verteilt und gesellschaftliches Ansehen unbedeutend. Das hat auch Auswirkungen auf die Sexualethik des NT. Gilt im antiken Patriarchat eine absolute Verfügungsgewalt des Mannes über die Körper von Frauen und Sklaven, so schreibt Paulus: „Nicht die Frau verfügt über ihren Körper, sondern der Mann, und ebenso verfügt nicht der Mann über seinen Körper, sondern die Frau“ (1. Korinther 7,4). Im Kontext des antiken Patriarchats ist diese Stelle revolutionär, da sie im Grunde ein gewisses Konsensprinzip vorsieht, auch wenn die Selbstbestimmung hier noch nicht mitgedacht ist. In jedem Fall setzt diese Stelle jedoch dem Dominanzprinzip der antiken Kultur etwas entgegen. Auch wenn hier die Geschlechterrollen von Aktivität und Passivität nicht abgelöst werden, so werten sie doch die Rolle der Frau massiv auf und bilden somit eine Vorstufe einer Sexualethik, die eine echte Beidseitigkeit an sexuellen Verwirklichungschancen und Augenhöhe anerkennt.
Im Podcast waren Paul und ich uns recht einig, dass die „erlösende Bewegung“ der Bibel auf eine ultimative Ethik abzielt, die eine volle Gleichberechtigung der Geschlechter vorsieht. Allerdings bedeutet dies für Paul nicht, dass er das Ausleben von gleichgeschlechtlichen Neigungen gutheißen kann. Sein Argument war, dass eine weitere Bewegungslinie beachtet werden müsse, die er unter dem Stichwort der „Körperlichkeit“ fasste. Für Paul geht es Paulus in Römer 1 darum, dass Menschen hier „am Körper entwürdigend handeln“. Ich vermute, er bezieht sich damit auf V.26: „ebenso haben auch die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau verlassen, sind in ihrer Begierde zueinander entbrannt, indem die Männer mit Männern Schande trieben“. Ich habe herausgehört, dass Paul die Körperlichkeit in Verbindung mit dem Begriff natürlich denkt: „Die Konturen des Körpers sind bei Mann und Frau aufeinander hin geschaffen und zeigen, wie Gott sich Sexualität gedacht hat – Penis und Vagina passen super zusammen. Die Gestalt der Schöpfung informiert uns darüber, wie wir leben sollen“ (Min 59).
Mit diesem Argument kann ich allerdings wenig anfangen. Zum einen gehe ich von einer anderen Schöpfungstheologie aus. Ich sehe in der Schöpfung keinen Plan, kein „Gott hat sich das so gedacht“. Die Schöpfung ist Ergebnis der Evolution, was für mich beinhaltet, dass Gott hier Möglichkeiten eröffnet hat und das Abenteuer der Schöpfung ins Dasein gelockt hat. Aber auch darüber hinaus verstehe ich das Leben nicht als ein „Malen nach Zahlen“. Die Schöpfung ist wie eine Leinwand und wir dürfen in Kooperation mit der heiligen Geistkraft kreativ sein. Anders ausgedrückt: Sexualität ist in meinem Verständnis unter den Vorzeichen der christlichen Freiheit unendlich viel mehr, als dass Penis und Vagina zusammenfinden. Ich würde hier – prozesstheologisch gesprochen – eine Theologie des Genusses stark machen.
Auch in meiner Theologie spielt die Körperlichkeit eine wesentliche Rolle. Zentral finde ich hier jedoch ein „Hören auf den Körper“. Eine Sünde gegen den Körper (1. Kor 6,18) ist für mich das, was dem Körper nicht gut tut. Dabei würde ich betonen, dass man hier ganzheitlich denken muss. Es geht beim Körper nicht nur um die biologische Dimension, es geht um den ganzen Menschen. Eine Sünde gegen den Körper kann Selbstverletzung sein, schlechte Hygiene, Maßlosigkeit, Überarbeitung – oder Sex, wenn alles in mir sich dagegen sträubt. Aber eben auch der unfreiwillige Verzicht auf Intimität (Hier geht es nicht um die Frage nach Gelegenheiten, sondern um die Frage nach Enthaltsamkeit aus ideologischen Grpnden). Dazu sagt Paulus: „Wenn sie sich aber nicht enthalten können, sollen sie heiraten; denn es ist besser zu heiraten als sich [in Begierde] zu verzehren.“ (1. Korinther 7,9).
Für Paul ist es entscheidend, dass „Konsens unter Erwachsenen“ nicht das einzige Kriterium ist. Das sehe ich auch so. Die Aufzählung bei Peter Dabroch, Renate Augstein et.al. finde ich sehr hilfreich. Neben der Freiwilligkeit sprechen sie vom Respekt vor der Andersartigkeit, von gleichen Verwirklichungschancen und von Bereitschaft zu Treue und Neuanfang. Darüber hinaus betonen sie Lebensdienlichkeit, Schutz der Beteiligten und Lebenszufriedenheit. Damit kann ich viel anfangen und meine, dass diese Kriterien einer ultimativen Ethik recht nahekommen. Sie können von Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen gelebt werden und wären für mich eine gute Weiterentwicklung, die ich auch in evangelikalen Gemeinden begrüßen würde.
27. Dezember 2022 @ 00:48
‚ paar Gedanken:
– Mir schwebt einerseits schon so eine „ständige Selbstüberwindung“ vor. In großer Linie gedacht: Von kriegerischen Stammesgöttern, zu immer noch bekehrenden und unterwerfenden Göttern für alle, zu fundamentalistischen Erlösern über immer noch schriftgebundene Reformatoren, die einen Weg bereiteten universalistischen Aufklärern mit Betonung des Heils aller
(meistens im Diesseits).
– Andererseits muss die Kirche meiner Meinung nach an den Punkt kommen klipp und klar zu sagen: „Sklaverei war ein Verbrechen schon damals. Steinigung von homosexuellen Tempelprostituierten war ein Verbrechen!“
– Denn es gab, da spekulier ich einfach mal wild drauf los ohne dass mir heute dafür einer die Rüber runterreißen darf, schon damals noch progressivere Theologen, z.B. unter Salomons Synkretisten. Sie wurden nur leider gesteinigt.
– Zu Bedenken ist auch, dass Gott auch gleich eine gescheite Ansage hätte machen können ( – spätestens, wenn man so weit denkt, dass Gott, wäre er allmächtig und allgütig, einfach eine Wolke beiseite schieben müsste und Klartext sprechen könnte).
– Spätestens wenn man wirklich in der Kinderstunde über die Gewalt in der Bibel sprechen würde und diese ablehnen würde, die Kinderbibel drastisch kürzen und umschreiben würde, würde offensichtlich werden, wie fraglich das Konzept „Christentum, Islam etc.“ ist.
– Kann sein dass es Gott gibt. Ich bin am ehesten Agnostiker. Hängt auch von der Tagesform und der Anzahl der Pils-chen ab 😉 Wenn ich über ihn rede, dann eher am ehesten als Chiffre-Begriff für das Gute, die Einheit aller Dinge. In Möglichkeiten und Erwägungen. Nach dem Motto: Wie wäre er, wenn es ihn gibt und er gut ist (sonst interessiert er mich ja nicht).
– Solange es Fundis gibt, muss es auch liberale Christen geben, die diese ins Freiere, gesundere ziehen. Sonst haben wir einen unüberwindbaren Graben wie in den USA.
Mir hat die progressive Theologie und die Dekonstruktion extrem geholfen, zu mir selber zu finden. In diesem Sinne: Danke für Deine Arbeit, wir hören (oder lesen) uns!