Angenommen, da hat es 9000 v Chr. eine Megaflut gegeben. Ein aufgebrochener Eissee, ein Tsunami – warum auch immer. Wie werden die überlebenden Menschen darüber gesprochen haben? Sie werden auf das zurückgegriffen haben, was sie zur Verfügung hatten. Und das waren Geschichten über Götter. Tausende Menschen werden von einer Flut vernichtet? Die Götter müssen zornig gewesen sein.
Angenommen, da entstehen in der Bronzezeit erste Vorläufer von Staaten. Diese Völker sind beritten und haben Waffen. Gegenüber einfachen Familienverbünden sind sie übermächtig, militärisch weit überlegen. Auch hier wird man Worte gesucht haben. Bei einem Sieg waren die Götter wohlgesonnen, bei einer Niederlage waren sie zornig. So in der Art sind die ältesten uns bekannten Geschichten der Menschheit entstanden. Und wahrscheinlich auch die Vorstellungen vom Zorn Gottes. Jedenfalls liegt dieser Schluss nahe, wenn man sich ansieht, wie der Begriff „Zorn Gottes“ in der Bibel verwendet wird. Oft heißt es da, dass der Zorn Gottes „entbrennt“. Die Folge ist, dass Menschen „ausgerottet aus dem Land“ werden, ein Volk militärisch besiegt wird („und Gott gab sie in die Hand fremder Völker“), oder Hagel und Überschwemmungen folgen (z.B. Weisheit 5,22). Die Rede vom Zorn Gottes ist also eine Deutung von irdischen Phänomenen. Das lässt sich historisch nachzeichnen.
Ist dadurch der „Zorn Gottes“ theologisch abgehandelt? Ich denke nicht. Zunächst spricht auch nicht viel gegen die Vorstellung, dass Gott auch zornig ist. Zorn ist eine Reaktion auf Ungerechtigkeit. Zorn ist letztlich eine Konsequenz von Liebe. Ohne Zorn gäbe es nur teilnahmslose Gleichgültigkeit. So kann ich mir Gott nicht vorstellen. Dennoch sehe ich hier mehrere Probleme. Ein erstes ist meiner Meinung nach die Grausamkeit, die Gott immer wieder angedichtet wurde und wird. Gottes Zorn als Erklärung für Brutalität in der Welt ist eine zutiefst grausame Haltung. Und sie ist phantasielos – als ob Gott sich nicht bessere Dinge ausdenken könnte, um diese Welt in eine gute Richtung zu bewegen. Ich würde daher in der Bibel Entwicklungsschritte aufspüren. Bernd Janowski hat dies beispielsweise in seinem Buch „Ein Gott der straft und tötet?“ gezeigt hat. An verschiedenen Texten zeigt er, wie in der hebräischen Bibel das Bild des gewaltätigen Gottes begrenzt und überwunden wird. Als Paradebeispiel gilt die Geschichte vom „goldenen Kalb“ (2.Mose 32). Zunächst möchte Gott das Volk Israel wegen des Götzendienstes vernichten und stattdessen mit Mose ein neues großes Volk gründen. Jedoch bittet Mose, das Volk zu verschonen.
Und dann sehe ich als weiteres Problem am Gedanken des Zornes Gottes, dass die Art und Weise, wie Gottes Wirken dementsprechend in der Welt beschrieben wird, oft mit einem souveränen Gott einhergeht. Man will den Gedanken stark machen, dass Gott hier alles unter Kontrolle hat. Vielleicht ist es einfacher, Tsunamis und Kriege Gottes Zorn zuzuschreiben, als zu akzeptieren, dass der Lauf der Geschichte sich frei entwickelt. Der Glaube daran, dass Gott alles kontrolliert, scheint mir genauso fremd wie antike Erzählungen über göttliche Megafluten oder mittelalterliche Bußmönche. Ich glaube, dass Theologie Ansätze braucht, die Gottes Wirken in der Welt anders beschreiben.
Dennoch gibt es theologisch wichtige Gründe, den Zorn Gottes nicht vorschnell abzukanzeln. Janowski spricht sich gegen eine „Halbierung der Gottesrede“ aus, die solche dunkle Seiten Gottes abmildert, ausblendet und relativiert. Der Grund ist, dass er hier Gottes Leidenschaft gegen alles Lebensfeindliche zum Ausdruck kommt. Gott stellt sich gegen die „Verweigerung der Gerechtigkeit“. Jedoch betont er, dass die Idee des „Eifers“ für Gerechtigkeit schnell in ein Eifern für Gott und damit in Gewalt umschlagen kann. Hier ist wichtig festzuhalten, dass Jesus den Eifer für Gott nicht mit Gewalt, sondern mit persönlicher Transformation verbunden hat. Deswegen muss nach Janowski die Rede vom Zorn Gottes immer im Zusammenhang mit Gottes Liebe und Gerechtigkeit gesehen werden.
Ich kann hier in weiten Teilen mitgehen und gute Anregungen finden. Ich möchte glauben, dass Gott in dieser Welt Gerechtigkeit bewirken möchte und insofern ist es zu einfach, von Gottes Liebe zu reden, ohne damit gleichzeitig auch eine Gegnerschaft zu Lebensfeindlichkeit mitzudenken.
Allerdings möchte ich die Entwicklungslinie der Gewaltlosigkeit mitbedenken. Wenn Gottes Wirken in der Welt gewaltlos gedacht wird, dann kann Gott zornig sein. Aber der Zorn würde sich völlig anders auswirken. Zorn würde zu Protest werden. Zur Klage. Zum Ruf zur Umkehr. Zur Solidarität. Aber immer mit dem Blick für die am Rand. Immer mit der Perspektive, dass Ungerechtigkeit angegangen werden muss. Und mit dem Wunsch, dass diese Schöpfung erlöst werden kann.